BIODIVERSITÄT
Entstehung
Die Vielfalt der Organismen, wie wir sie heute auf unserer Erde vorfinden, ist das Resultat einer Entwicklung über mehrere hundert Millionen Jahre, wobei es immer wieder zu Einbrüchen gekommen ist. Zeugnisse der frühen Erdgeschichte finden wir auf Schritt und Tritt. Versteinerungen im Jurabogen und auf dem Randen im Kanton SH sind ein schönes Beispiel für eine verschwundene Artenvielfalt.
Am Ende der Kreidezeit – vor 66/67 Millionen Jahren – kam es zum Massensterben: Es erfasste nicht nur die tonnenschweren Dinosaurier, die im seichten Meer, bewohnt von den hier abgebildeten Formen, umherstapften, sondern mit ihnen auch etwa 3/4 aller Tierarten.
Vermutet wird der Einschlag eines Meteoriten.
Heute haben wir eine ähnliche Situation, und es wird der Mensch als Meteorit bezeichnet, der das sechste Massensterben auf diesem Planeten verursacht. Eine kritische Analyse dieser Sicht finden wir hier.
Wir wissen um das momentane grosse Aussterben der Insekten, welche die Pflanzen bestäuben und damit für die Bildung von Früchten und Samen in Natur und landwirtschaftlichen Kulturen essenziell sind. Wie sich das Insektensterben auf unsere Wildflora auswirken wird, ist noch nicht bekannt und wird gegenwärtig untersucht.
Weil Pflanzen die Lebensgrundlage (fast) aller Organismen sind, ist ihr Massensterben fatal. Wenn wir nicht Sorge tragen, trifft es uns selber. Da Menschen in Angst und Panik meist inadaequat reagieren, sollten wir – solange es uns noch leidlich geht – die Situation ernsthaft überdenken und überlegen, was wir für den Fortbestand der Biodiversität (inklusive Mensch) zeitlebens tun können.
Ein Gruppe von Wissenschaftler*innen (darunter die Pioniere der Biochemischen Oekologie, Paul Raven und Peter Ehrlich) haben kürzlich darauf hingewiesen, dass die Menschheit die Herausforderungen unterschätzt, denen sie für das Abwenden einer schlimmen Zukunft begegnen müsste.
Einbusse
Die zwei wichtigsten Treiber der Verluste an Biodiversität sind:
Wie wir weiter unten sehen werden, gehen diese beiden Elemente Hand in Hand und sind durch eine Vielzahl von Faktoren begleitet und bedingt.
Infektionskrankheiten
Es handelt sich um so genannte Emerging Infectious Diseases (EID), die sich seit etwa zwanzig Jahren weltweit verbreiten und nicht nur den Homo sapiens sondern eine Vielzahl von Arten und Gruppen (Klassen) erfassen. Ein vielzitiertes Beispiel ist das weltweite Aussterben von Amphibien durch eine Pilzinfektion (Chytridiomykose). Die Gründe für die ungehemmte Ausbreitung der Krankheit sind mannigfaltig.
Eine schematische Zusammenstellung der biotischen und abiotischen Faktoren, die EID begünstigen, ist für das globale «Insektensterben» in einer kürzlich erschienenen Arbeit zu finden:
Hauptsächliche, mit dem Insektenschwund verknüpfte Faktoren
Source: Biological Conservation Volume 232, April 2019, Pages 8-27: Worldwide decline of the entomofauna: A review of its drivers, by Sánchez-Bayo F & Wyckhuys KAG.
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Zerstörung der Habitate
Eigentlich gipfeln die meisten 'modernen' anthropogenen Aktivitäten in einer Zerstörung der Habitate, indem die oben erwähnten Faktoren zusammenwirken und EID flankieren. Die Tragweite dieser verhängnisvollen Situation wird in einem kürzlich erschienenen Review zum Insektensterben dargestellt.
Da unsere Stiftung (und die HomePage) die Pflanzen im Fokus hat, wollen wir hier zwei spezifischen Fragen nachgehen:
Bestäuber-Pflanzen-Diversität
Vor 25 Jahren wurde der Begriff der Pollination Crisis geschaffen, dies vor dem Hintergrund der Gefährdung der menschlichen Ernährung, die zu einem Drittel direkt oder indirekt von der Bestäubung durch Tiere abhängt. Die Krise wurde u.a. im kalifornischen Mandelanbau manifest, als der Druck auf die 'dienstleistenden' Insekten durch EID, z.B. Varroa (Honigbiene) und Pestizide (Wildbienen) die Ernte gefährdete. Parallel kam es zu einer erhöhten Virulenz der Pflanzenschädlinge.
Heute ist die Bedeutung der 'Bienen aller Art' im Anbau von Mandeln voll erkannt. Siehe diese Publikation so wie die darin zitierten Arbeiten von Alexandra-Maria Klein.
Mit diesem Hinweis auf die Bedeutung (für unsere Ernährung) der durch Tiere vermittelten Bestäubung, die übrigens 70 bis 90 Prozent der Blütenpflanzen betrifft, ist noch nichts darüber ausgesagt, inwiefern sich der anthropogene Biodiversitätsverlust auf die Pflanzen-Bestäuber Interaktion auswirkt. Es stellt sich konkret die Frage, wie die Pflanzenwelt auf die Änderung in der Bestäuber-Vielfalt reagiert?
Bemerkenswert ist der frühe experimentelle Ansatz durch eine Gruppe in Frankreich, mit dem im geschlossenen System – bestückt mit 'offenen und gespornten Blüten (je 3 Arten) so wie mit Schwebefliegen und Hummeln (je 3 Arten) – die performance der Pflanzenarten (Grösse und Zahl der Diasporen, Keimlinge) in den möglichen Kombinationen bestimmt wurde. Quintessenz: Die funktionalen Diversitäten von Pflanzen und Bestäuber komplementieren sich gegenseitig.
Fast gleichzeitig erschien eine Arbeit in Science, die mittlerweile (2021) gegen 2000mal zitiert worden ist und die parallele Abnahme von Bestäubern und fremdbestäubten Pflanzen-Arten In England und den Niederlanden thematisiert. Die Ursachen bleiben ungeklärt: Geht der Verlust an Pflanzen-Arten jenem an bestäubenden Insekten-Arten voraus oder umgekehrt und zwar so, dass erstere als Folge der reduzierten Reproduktion (Ausbleiben der bestäubenden Vektoren) verschwinden?
Es kann aber auch sein, dass beide Gruppen durch andere Faktoren tangiert werden. Fest steht lediglich, dass beide – spezialisierte Bestäuber und fremdbestäubte Pflanzenarten – als Tandem abnehmen!
Eine äusserst bemerkenswerte Studie befasste sich kürzlich mit dieser Thematik, indem die Autoren die rezent (2012–2017) erhobenen Daten mit jenen aus den Jahren 1900–1930 bezüglich des Vorkommens der foodplants (Pollen und Nektar liefernde Arten) in unterschiedlichen Vegetationstypen des Kantons Zürich untersuchten. Der Rückgang der auf wenige Pflanzenarten spezialisierten Insektengruppen wird auf jenen dieser Pflanzenarten (ganz ausgeprägt in Feuchtgebieten und Ackerlandflächen) zurückgeführt.
Schliesslich sei mit diesem von SRF ausgestrahlten Video auf den aktuellen (2021) Zustand der schweizerischen Insektenwelt hingewiesen, basierend auf dem Bericht der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften.
Ausserdem wird im folgenden Podcast die Situation der Schweiz mit jener von Europa verglichen.
Erstaunlich ist, dass die seit 100 Jahren weltweite Eliminierung von Insekten durch Transportmittel wie Fahr- und Flugzeuge (Windschutzscheiben, Kühlergrills, Propeller, Triebwerke) in der Diskussion um das Insektensterben kein Thema ist. Die globale Biomasse fliegender Insekten ist in etwa bekannt, ebenso die Zahl der Fahr- und Flugzeuge (z.B. gibt es zurzeit etwa 1.2 Milliarden Autos auf diesem Planeten) so wie der Eisenbahnen. Früher, in den guten alten Insekten-Zeiten, konnten nach wenigen Stunden Fahrt einige Gramm toter Insekten von der Windschutzscheibe abgekratzt werden. Auf hundert Jahre extrapoliert, ergibt dies – unter Berücksichigung der Vehikel-Zahl – eine beachtliche Menge. Es ist wohl ein Zufall, dass die prozentuale Zunahme der Motorfahrzeuge parallel zum prozentualen Verlust an Insekten verläuft.
Pflanzen gegen EID (Emerging Infectious Disease)?
EIDs betreffen alle Organismen. Die Pflanzenwelt ist diesen Krankheiten zunehmend ausgesetzt, was für Oekosysteme und Menschheit gravierende Folgen hat. Siehe z.B. hier.
Zur Beantwortung dieser Frage im Kontext Pflanzen/Bestäuber richtet sich unser Fokus auf die Biologie der Nektarien, deren Bedeutung Konrad Sprengel im Jahre 1793 erkannte*. Er nannte sie «Saftmaschinen» und beschrieb ihre Entwicklung und Ausprägung in zirka 300 Gattungen.
Dieser «Saft», heute Nektar genannt, ist eine zuckerig–wässrige Lösung, welche die Pflanze den tierischen Besuchern als Belohnung anbietet. Obschon zu Beginn steril wird der Nektar wegen seines Nährstoffreichtums rasch durch Mikroben besiedelt, die entweder pathogen, gutartig oder sogar hilfreich für die Pflanze sein können. Die Komponenten des Nektars können das Verhalten des Bestäubers (in unseren Breitengraden meist ein Insekt) prägen, das Mikrobiom der Pflanze und des Insektendarms modulieren und/oder Parasiten des Bestäubers beeinflussen.
Spannend in diesem Zusammenhang ist die unlängst erkannte Tatsache, dass viele Pflanzenarten ihrem Nektar (und dem Pollen) Sekundärstoffe 'beimischen', die in der Interaktion mit dem bestäubenden Agens von zentraler Bedeutung sind.
Als erstes Beispiel machte Koffein Schule: Nach seiner Entdeckung (1985) durch den Forscher und Besitzer von Agrumen-Plantagen in Florida, Ivan Stewart (1922-2016) in Zitrus-Blüten, haben wir die intraflorale Verteilung dieser 'aufregenden Komponente' studiert. Seither sind dutzende von Arbeiten erschienen, die zeigen, dass 'Nektarkoffein' das Nervensystem des Bestäubers so beeinflusst, dass sein «memory» für die besuchte Spezies gefestigt wird – eine Art «Kundenbindung»!
Zudem werden Nektarräuber abgehalten und spezifische Bestäuber selektioniert. Ein kürzlich erschienener Review fasst die bisherigen Erkenntnisse zu diesem Abschnitt zusammen. Zudem wird hier der Einfluss des «neuroaktiven Nektars» auf die Neuronen der Insekten summarisch dargestellt.
Schliesslich ergibt sich aus der neuesten Forschung ein praktischer Hinweis zur Bekämpfung von EID mit pflanzerischen Massnahmen:
Eine zahlreiche, biodiverse Blütenweide, mit einen Mix aus nähr- und sekundärstoffreichen Quellen dürfte die Gesundheit der Bestäuber verbessern und den Kampf gegen ihre Krankheiten unterstützen.
Als ehemaliger Koffeinforscher hat es mich erstaunt, dass der Nektar der Saat-Esparsette (Onobrychis viciifolia) koffeinhaltig sein soll (noch nicht durch andere Teams bestätigt). Diese Spezies könnte somit eine wichtige Komponente in AES** sein.
*Tragisch und unverzeihlich ist, dass Goethe, der damals “auf dem naturwissenschaftlichen Gebiet kaum mehr als ein Dilettant im positiven Sinne des Wortes” galt, die Bedeutung der Nektarien gänzlich verkannte und den Autor mit aller Macht bekämpfte. Der geniale Konrad Sprengel verzichtete in der Folge auf die Veröffentlichung weiterer Forschungsresultate ...
**AES, Agri-environment schemes
Stiftung helvetiflora CH-8247 Flurlingen
Konzept
Thomas Baumann & Beatrice Häsler
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